Die teilweise weniger sachlich, umso mehr aber leidenschaftlich geführte Debatte um die Energieversorgung der Zukunft beschäftigt viele Bürgerinnen und Bürger. So auch unser Vorstandsmitglied Bernd Neumann. Er hat seine Gedanken zum Teilaspekt Atomkraft sorgfältig bearbeitet und hier zusammengetragen. Wir veröffentlichen die persönliche Meinung unseres langjährigen Mitglieds an dieser Stelle, ohne damit eine Wertung abgeben zu wollen.
Der Vorstand
Atomkraft – nein danke! Wirklich, und überall?
Ich habe mittlerweile den Eindruck gewonnen, dass kaum jemand wirklich verstanden hat, warum wir in Deutschland aus der Atomkraft aussteigen mussten.
Zuerst einmal: Atomkraft ist zu teuer. Es kostet im normalen Betrieb rund doppelt so viel wie Strom aus Windkraft. Fotovoltaik kann noch billiger sein.
Und dann: Wir werden den radioaktiven Müll nicht los. Die Suche nach einem Lagerort soll noch bis weit in die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts dauern. Und die Kosten der Endlagerung wurden nie mit dem Verkauf der elektrischen Energie verdient.
Und ja gewiss, Fukushima hat uns gezeigt, wie gefährlich es ist. Aber was wirklich mussten wir aus der Katastrophe lernen?
Nun, es fehlt bei den Verfechtern der Atomkraft das grundsätzliche Verständnis der Risikobewertung. Dazu müssen erst einmal grundlegende Begriffe geklärt werden:
GAU: Der größte anzunehmende Unfall. Damit ist die größtmögliche Fehlfunktion gemeint, die in die Risikobewertung einbezogen wird. Für die Druckwasserreaktoren, die Deutschland üblich waren, ist das der Ausfall der Hauptkühlung. Um eine Zerstörung des Reaktors bei Ausfall der Hauptkühlung zu verhindern, wurden immer auch Notkühlsysteme eingebaut. Damit glaubte man das Problem gelöst zu haben. Zusammen mit all den anderen Maßnahmen zur Beherrschung von Störfällen ergibt sich dann eine aberwitzig winzige Wahrscheinlichkeit für eine Havarie, den
SuperGAU: Damit ist eine Fehlfunktion gemeint, die über das hinausgeht, was mit allen Sicherheits- und Redundanzsystemen planmäßig beherrscht werden soll. Beim Ausfall aller Kühlsysteme überhitzt der Reaktor selbst dann, wenn er abgeschaltet wird. Der radioaktive Kern produziert weiterhin Wärme, schmilzt und ist nicht mehr aufzuhalten. Bei derart hohen Temperaturen dissoziiert das nun nicht mehr umgewälzte Kühlwasser. Es entsteht Wasserstoffknallgas, das kurz darauf zündet, explodiert, und der Reaktorbehälter wird zerstört. Radioaktives Material wird in die Atmosphäre geschleudert und verteilt sich in einem Umkreis von mindestens 30 Kilometern. Genau das ist in Fukushima passiert und auch in Tschernobyl. Damit ist zunächst einmal eine Redeweise klargestellt: Die Havarien von Tschernobyl und Fukushima sind SuperGAU-Ereignisse. In der Presse wird oftmals SuperGAU mit GAU verwechselt.
Die Regierung der Sowjetunion hat den Unfall von Tschernobyl in Jahre 1986 mit menschlichem Versagen erklärt und damit kleingeredet. In der Folge wurde das Risiko nicht so richtig ernst genommen.
In Fukushima sind alle Kühlsysteme durch eine Überschwemmung infolge eines Tsunamis zerstört worden. Damit ist der SuperGAU eingetreten. Der Fehler bei der Planung der Kraftwerksblöcke von Fukushima besteht darin, dass eine Überschwemmung in Folge eines Seebebens nicht in die Betrachtung der Risiken einbezogen worden war. Das konnte man sich bei der Planung der Kraftwerksanlage offenbar nicht vorstellen. Und plötzlich ist die ursprünglich vorgenommene Berechnung der aberwitzig winzigen Wahrscheinlichkeit für eine Havarie falsch.
Die Fehleinschätzung beruht auf einer typisch menschlichen Unzulänglichkeit. Man muss feststellen, dass man nie sicher sein kann, dass man alle relevanten möglichen Gefahren erkannt hat. Folglich ist die Berechnung der Fehlerwahrscheinlichkeit unsicher und damit unbrauchbar.
Wenn man sich nicht sicher sein kann, dass eine Havarie wie in Fukushima vermieden werden kann, dass man alle relevanten Risiken kennt und berücksichtigt hat, dann muss man die Gefahren anders bewerten. Man muss damit rechnen, dass durch eine Havarie ein größerer Landstrich für praktisch alle Zeiten unbewohnbar und ein größerer Teil des Kontinents mit verseucht wird. Dieses Risiko ist eigentlich nicht hinnehmbar. In Tschernobyl musste dies hingenommen werden. Die Umgebung ist Sperrgebiet. Bei nur 61 Einwohnern pro Quadratkilometer in der Ukraine – damals noch Sowjetunion – hat sich dies nicht staatsgefährdend ausgewirkt.
In Deutschland ist so eine Situation bei einer Bevölkerungsdichte von 237 Einwohnern pro Quadratkilometer gar nicht hinnehmbar. Man muss sich nur vorstellen, der radioaktive Fallout würde Hamburg unbewohnbar machen oder München. Das wäre es dann nicht nur mit den Städten, sondern mit ganz Deutschland. Deshalb müssen wir in Deutschland auf Atomkraft mit Atomspaltungsreaktoren verzichten. Aber: „Wissen führt nicht automatisch zum Handeln“ wie Mojib Latif es in einem anderen Zusammenhang ausdrückt.
In Japan mit 336 Einwohnern pro Quadratkilometer ist dies eigentlich noch viel weniger hinnehmbar. Trotzdem verzichten die Japaner vorerst nicht auf Atomkraft. Dabei war selbst Tokio in Gefahr vom radioaktiven Fallout betroffen zu werden. Es hat nicht viel gefehlt.
Worin bestand nun das tatsächliche Risiko, dem die Kraftwerke von Fukushima zum Opfer gefallen sind? Atomkraftwerke funktionieren nach dem Prinzip von Wärmekraftmaschinen, genau wie Verbrennungsmotoren in Kraftfahrzeugen. Auch die müssen bekanntlich gekühlt werden. Der eigentliche Atomreaktor ist nur die Wärmequelle für den Betrieb von Dampfturbinen. Der Wirkungsgrad hängt in allen Fällen vom Temperaturunterschied zwischen zugeführtem und abgeführtem Dampf ab. Um den Effekt zu optimieren muss das System mit viel Wasser gekühlt werden. Deshalb werden Kraftwerke an großen Flüssen oder am Meer gebaut. Damit besteht aber für alle Kraftwerke auch immer Überschwemmungsgefahr. Dieses Risiko wurde zumindest in vielen Fällen unterschätzt. Ein prinzipieller Fehler!
Man hätte die Gefahr ahnen können. Ein Rheinhochwasser hatte bereits das Kernkraftwerk von Biblis bedroht. Die Presse hat von der Gefahr berichtet. Nachdem es aber noch einmal gut gegangen ist, wurde alles ganz schnell wieder vergessen. Was soll man denn machen? Kernkraftwerke müssten so hoch über dem Wasserspiegel errichtet werden, dass kein Hochwasser es erreichen kann. Man denke an das Ahrhochwasser. Nachträglich ist ein Schutz durch Höherlegen nicht machbar. Dabei betrifft es alle Atomkraftwerke.
Kurz zusammengefasst bedeutet es:
• Atomkraft ist auch im störungsfreien Betrieb zu teuer
• Wir werden den radioaktiven Müll nicht los
• Wir können nie sicher sein, alle relevanten Risiken berücksichtigt zu haben
• Selbst wenn die Gefahren bekannt sind, wird nicht reagiert, solange keine Katastrophe stattfindet
• Deutschland könnte eine Havarie wie die in Fukushima nicht verkraften
Also mussten wir aus der Atomkraft aussteigen.
Ursprünglich wurde erwartet, dass nach etwa 30 Jahren Kernfusionsreaktoren entwickelt sein werden, die die Atomspaltungsreaktoren ersetzen sollten. Deshalb wurden Risiken für eine begrenzte Übergangszeit von 30 bis 50 Jahren akzeptiert. Die Zeit ist abgelaufen. Und was haben wir stattdessen gekriegt? Fotovoltaik und Windkraft. Vergleichsweise ungefährlich und preisgünstig. Das ist viel besser!
Bernd Neumann, Schwentinental im Mai 2025